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Mama Blume: Eine Wahrsagerin mit Geschichte

"Zu den beiden Wahrsagerinnen geht's da lang", sagt der Gebrannte-Mandel-Verkäufer auf dem Hamburger Dom. "Aber glauben Sie das bloß nicht." Die Tür zur grünen Holzhütte von Mama Blume und Esmeralda steht offen. Aus kleinen grauen Augen blickt Mama Blume jeden an, der aus der kalten März-Luft eintritt. An den Wänden hängen Samtstoffe, ein künstliches Feuer frisst sich durch Plastikholz im elektrischen Kamin. "Setz dich", sagt die 86-Jährige mit heiserer Stimme und deutet auf den freien Stuhl ihr gegenüber. "Wir lesen Karten und aus der Hand", erklärt ihre Tochter Esmeralda. Karten legen kostet 20 Euro, einmal Handlesen auch.

"Wahrsagen ist ein Erbe"

"Wahrsagen lernt man nicht. Bei den Zigeunern steckt das im Blut", sagt Mama Blume. Ihre Familie hat fünf Generationen von Wahrsagerinnen hervorgebracht. Gemeinsam mit ihrer Tochter Esmeralda legt sie auf Volksfesten den Menschen die Karten oder liest ihnen aus der Hand.

Seit Jahrzehnten haben Mama Blume und Esmeralda auch eine Bude auf dem Hamburger Dom. 14 Karten legen kostet hier 20 Euro, einmal Handlesen auch. "Die Kunst einer Wahrsagerin ist es, den Menschen die Vergangenheit und die Gegenwart zu sagen. Wenn das stimmt, kann man auch an das glauben, was in der Zukunft kommt", erklärt Mama Blume, die eigentlich Hilde Rosenberg heißt.

Ihr Markenzeichen: eine rote Blume, die sie im Haar trägt. "Den Namen Bluma hat mir mein Mann gegeben. Daraus ist dann Mama Blume entstanden", erinnert sie sich. Kennengelernt hat sie ihren Mann im Konzentrationslager. Weil sie der Volksgruppe der Sinti angehören, wurden sie von den Nazis verfolgt. Nach dem Krieg lässt sich das Paar in Hamburg nieder. Ein altes Foto, das in Mama Blumes Wohnzimmer hängt, erinnert sie an die Zeit als frisch verheiratetes Paar. "Er war meine große Liebe, wir waren 41 Jahre zusammen." Die Rosenbergs bekommen sechs Kinder.

Vor 31 Jahren stirbt Lani Rosenberg, der als Musiker sein Geld verdient hatte. Die Söhne des Paares treten in die Fußstapfen des Vaters und machen Musik. Tochter Esmeralda arbeitet mit der Mutter zusammen. "Die kann es gut. Man merkt es daran, dass die Kunden wiederkommen und nach ihr fragen", sagt Mama Blume. Esmeralda ist mit dem Wahrsagen groß geworden, sie liebt ihren Beruf.

"Das was wir bei den Menschen erreichen, ist wunderschön. Wenn jemand wiederkommt, dem wir die Karten gelegt haben, sehen wir, was wir erreicht haben", sagt Esmeralda. Man brauche für das Wahrsagen Feingefühl und Verantwortung und auch viel Kraft, erklärt die 50-Jährige.

Wenn Esmeralda die Hand eines Menschen liest, sieht sie seine Vergangenheit, seine Gegenwart und auch seine Zukunft. Dabei orientiert sie sich an bestimmten Linien. Gelesen wird immer aus der linken Hand. Hier zeigt die markierte Linie, welche beruflichen Wege der Mensch gehen wird.

Die Linie darüber ist die Herzlinie. Sie bilde das ab, was einen Menschen bewege, sagt Esmeralda. "Zu jedem, dem man aus der Hand liest, baut man eine Verbindung auf. Ich sage manchmal zu Leuten: 'Versprich mir, dass du dich wieder meldest und erzählst, wie das ausgegangen ist.'" Oft ergebe dann die Vorhersage auf einmal einen Sinn.

Eine Frau entdeckt eine Krebs-Erkrankung, weil sie auf Mama Blumes Drängen zum Arzt geht. Einer anderen sagt Esmeralda ein Kind voraus, obwohl die Frau keine Kinder bekommen kann. Ein halbes Jahr später kommt sie mit Babybauch bei Mutter und Tochter Rosenberg vorbei. Das sind die Geschichten, die die beiden Wahrsagerinnen vom Dom gern erzählen. Ob sie stimmen? "Ich gebe als Wahrsagerin nur meinen Rat, ob du ihn annimmst, ist deine Sache. Wir sind nur Wegweiser", sagt Mama Blume und lächelt verschmitzt.

Mama Blume legt einen Stapel Karten auf den Tisch. "Zieh sieben Stück", sagt sie. Es ist kein normales Kartenspiel, das Mama Blume verwendet. Sie hat 36 sogenannte Zigeunerkarten, mit denen sie angeblich die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines Menschen sehen kann. "Bei uns Zigeunern liegt das im Blut", sagt sie. Ihre Familie hat bereits fünf Generationen von Wahrsagerinnen hervorgebracht. Schon mit zehn Jahren habe sie den Kindern auf der Straße für ein oder zwei Pfennig die Karten gelegt. "Da hatte ich keine Hemmungen", erinnert sie sich.

Langsam dreht Mama Blume eine Karte nach der anderen um. "Du wirst eine große Reise machen. Aber du scheinst noch unsicher, ob du sie antrittst." Die Lampe auf dem Tisch beginnt zu flackern. Etwas knackt laut. Dann gehen die Lichter aus. "Da ist wohl schon wieder die Sicherung rausgesprungen", sagt Esmeralda. Jetzt, wo der Elektro-Ofen aus ist, wird es kühl in der Hütte. Mama Blume schlägt ihre Beine übereinander und rückt die rote Blume, die sie im Haar trägt, zurecht. Eigentlich heißt sie Hilde Rosenberg. "Den Namen Bluma hat mein verstorbener Mann mir gegeben. Daraus ist Mama Blume entstanden."


Von den Nazis verfolgt

Ihren Mann Lani, ihre "große Liebe", hat Mama Blume im Konzentrationslager kennengelernt. "Da waren wir noch so jung", sagt sie. Fünf Jahre war sie als junge Frau während der Nazi-Zeit in unterschiedlichen Lagern, weil sie zur Volksgruppe der Sinti gehört. "Ich habe 38 Menschen verloren. Ich selbst habe Glück gehabt. Es war der liebe Gott, der mich bewahrt hat. Bis zum Schluss habe ich durchgehalten, bis die Tore aufgegangen sind."

Mit von Arthrose gekrümmten Fingern streicht sie über die rote Samttischdecke. Nur ungern spricht die alte Dame über diese Zeit. Wenn Filme wie Schindlers Liste im Fernsehen laufen, komme vieles wieder hoch, sagt ihre Tochter. Dann erzähle die Mutter ihr von den Jahren im Lager. "Einmal haben sie und andere Insassen im KZ tiefe Löcher schaufeln müssen. Irgendwann haben sie gemerkt, dass das ihre eigenen Gräber sind", sagt Esmeralda. "Am nächsten Tag sind sie befreit worden."
Generationswechsel bei den Wahrsagerinnen

Nach dem Krieg zogen die Rosenbergs nach Hamburg, bekamen sechs Kinder. Lani starb vor 31 Jahren. Heute hat Mama Blume 19 Enkel und 28 Urenkel. Tochter Esmeralda hat ihr Talent von der Mutter geerbt und übernimmt nun Stück für Stück das Geschäft als Wahrsagerin. "Solange ich noch reden und laufen kann, solange bleibe ich. Hier bin ich in meinem Element", sagt Mama Blume fast ein bisschen trotzig. Doch die Beine tun ihr weh und schon jetzt schafft sie es nicht mehr jeden Tag auf den Dom.

Doch manche Kunden kommen nur für sie auf das Volksfest. "Einmal hat meine Mutter in den Karten einer Frau gesehen, dass sie eine Reise antreten wird, auf der sie ein schreckliches Unglück mitansehen muss", erzählt Esmeralda. Ihre Mutter habe der Frau geraten, die Reise abzusagen. Aber die Frau hatte schon gebucht. "Später haben wir erfahren, dass die Frau während des Tsunamis in Südostasien war."
"Wir sind nur Wegweiser"

Auf dem Tisch liegen jetzt 14 Karten. "Auf dich kommt ein Vertrag zu. Überleg dir gut, ob du ihn unterschreibst", sagt Mama Blume. Wenn Menschen ihr nicht glauben wollen, lächelt sie verschmitzt. "Ich gebe als Wahrsagerin nur meinen Rat, ob du ihn annimmst, ist deine Sache. Wir sind nur Wegweiser." Esmeralda hat den Strom wieder zum Laufen gebracht. Das elektronische Kaminfeuer flackert auf. Die Glühbirnen am bunten Kronleuchter tauchen die Hütte in ein warmes Licht.

Draußen drehen die ersten Buden auf dem Dom die Musik auf, eine Achterbahn rattert, Kinder mit Ballons in der Hand gehen an der Hütte vorbei. "Na, haben die beiden Wahrsagerinnen gut geraten?", fragt der Mann am Stand für gebrannte Mandeln. "Ich glaub ja nicht dran. Aber ich war ja auch noch nie da."

Ihre Selbstdarstellung

http://www.zeit.de/2014/31/sommerdom-ham...steller/seite-7

Aber auch konträre Kundenreaktionen

http://forum.gofeminin.de/forum/loisirs5...burger-dom.html